Auch wenn Corona es dieses Jahr schwer macht – die Stadt Tübingen hat es möglich gemacht und uns wieder einen Platz für den Briefmarathon eingeräumt. Seit vergangenen Montag liegen im Rathausfoyer die Briefe und Fallbeschreibungen für zehn Fälle aus.
“Warum sollte ein minderjähriger Junge der Vormund einer erwachsenen Frau sein?” fragte Nassima al-Sada 2016. In ihrem Heimatland sind Frauen einem männlichen Vormund unterstellt und dürfen alltägliche Angelegenheiten nicht ohne diesen regeln. Al-Sada engagierte sich friedlich dagegen. 2018 wurde sie dafür verhaftet, im Gefängnis wurde sie gefoltert, ihren Anwalt darf sie nicht sehen. Ebenfalls inhaftiert ist der Journalist Khaled Drareni aus Algerien, der über eine Demonstration berichtete. Anfang dieses Jahres wurde er zu drei Jahren Haft verurteilt, obwohl er nur seine Arbeit gemacht hatte. Mit zweifelhaften Beweisen klagte Burundi den Menschenrechtsverteidiger Germain Rukuki an, wegen „Rebellion“ und „Untergrabung der Staatssicherheit“ – Rukuki hatte sich gegen Folter eingesetzt. Seit drei Jahren sitzt er unschuldig im Gefängnis. Idris Khattak aus Pakistan hatte für Amnesty gearbeitet. Er hatte das „Verschwinden-Lassen“ von unliebsamen Menschen in seinem Heimatland dokumentiert – 2019 „verschwand“ er selbst. Seit Juni 2020 weiß man: Die pakistanischen Behörden hatten ihn festgenommen. Sollte er mit dem Vorwurf Spionage vor Gericht gestellt werden, droht ihm die Todesstrafe.
Wie jedes Jahr setzen wir auf die Unterstützung der Tübinger für politische Gefangene und Engagierte in aller Welt. Jeder Brief hilft und ist eine Stimme mehr gegen Verletzungen der Menschenrechte. Und wir sind nicht die einzigen, die diese Fälle ausgelegt haben. Der Briefmarathon findet auf der ganzen Welt statt. Jeden Dezember werden weltweit zehn ausgewählte Fälle besonders hervorgehoben. So kommen in kurzer Zeit jährlich tausende Unterschriften zusammen, die den Verantwortlichen vorgelegt werden. Die Empfänger sind nicht irgendwer: Die Briefe sind an Minister, Präsidenten und Könige adressiert. Nur eines ist dieses Jahr anders: Stifte müssen selbst mitgebracht werden.
Übrigens: Auch online kann man sich für die Fälle einsetzen. Auf der Homepage von Amnesty International sind die Fälle zu finden, inklusive Möglichkeit zum online unterzeichnen.